Nachtrag zum Hennickendorfer Konzert
Zelle 40 in Hennickendorf (mit Gastmusiker N.U.Unruh und Charles Anderson)
>>>Die Zelle im trashigen Brandenburgischen…
…oder “Ich bin zu alt fuer Selbstmitleid” <<<
Es ist 17:00 Uhr, als wir zu zehnt mit vier Autos im Brandenburgischen Hennickendorf ankommen. Zwei Merchandiser und eine Krankenschwester inklusive. Die “Kuckuck’s Scheune” verspruehte den Charme der volkstuemlichen RBB TV-Sendung von Petra Kusch-Lueck, namens “Musikantenscheune”. Der Name unserer Location passt somit fast. Diese abendliche Veranstaltung ist jedoch als “80′er- und Depeche Mode- Party” angekuendigt. Die Buehne ist schoen gross. Die PA macht auch einen guten Eindruck. An den Waenden haengen alte Landwirtschaftsgeraete in allen Groessen und Formen. Fuer den praktizierenden SM-Anhaenger eine lustvolle Fundgrube. Die Gastgeber sind so, wie wir auf der Hinfahrt schon vermutet hatten, gut buergerlich. Unser Backstageraum ist gut 8 Quadratmeter gross. Wenn man die Schrankwand rausgeraeumt haette, waere er sogar groesser.
Nach unserem Soundcheck beschnuppern wir erstmal die anderen zwei Bands des Abends. Nothing To Fear kannten wir im Vergleich zu Projekt Herbststurm ein wenig. Wir waren erstaunt, wie gut wir mit den anderen Bands klar kamen. Auch die PA-Crew scheint in Ordnung zu sein. Zwar dauert der Soundcheck von Projekt Herbsturm wegen technischen Computerproblemen eine halbe Ewigkeit, aber da sie die erste Band des Abends sind, stoert es uns nicht. Die ersten Besucher sind um 20 Uhr eingetroffen. Wenigstens sind es Szeneleute und keine Silberzwiebeln. Als Silberzwiebeln bezeichnen Die Flippers, laut “Spiegel”, ihr weibliches und leicht ergrautes Publikum. Wir sind also guter Dinge. Das Catering kommt. Es sind beschmierte Stullen. Der oertliche Fleischer hat bei der Menge von Wurstsorten sicher ein moerderisches Geschaeft gemacht. Nur schade, dass wir drei Vegetarier und sogar einen Veganer an Bord haben. Wir aergern uns nicht weiter darueber, denn schliesslich sind wir selbst daran Schuld, dass wir im Vorfeld keine konkreten Angaben zum Catering gemacht haben. Spider, unser Merchandiser hat es gut, denn er hat sich seine veganen Stullen mitgebracht. Und siehe da, unter den Wurststullen des Caterings tauchen dann doch ein paar Kaesestullen auf. Glueck gehabt!
Um 21:20 Uhr beginnen nun Projekt Herbststurm mit ihrem Programm. Das Publikum ist zahlreich erschienen und besteht aus 40 Prozent Szene und 60 Prozent Dorfjugend. Wobei bei einigen Besuchern das Wort “Jugend” lange nicht mehr zutrifft. “Die hoeren sich ja an wie der Prager Handgriff” sagt jemand hinter mir und meint damit die Jungs von Projekt Herbststurm. Parallelen sind fuer mich jedoch nur bedingt erkennbar. Ich finde, Projekt Herbststurm machen gut-zuenftigen EBM.
Nun ist die Zelle an der Reihe. Wir bereiten uns im Backstage springend und bruellend auf unseren Gig vor. Vereinzelt fallen sogar Tassen und Glaeser vom Tisch, gehen aber nicht kaputt. Man, was sind wir schon fuer tierisch zwielichtige Rocker. Dann schauen wir uns nochmal im Spiegel an, um sicher zu stellen, dass unser Kajal noch sitzt. Er sitzt so abgewrackt auf und unter unseren Augen wie wir es wollten. Also kann es los gehen. Das Intro laeuft, wir betreten die Buehne. Dann geht alles ganz schnell. “The Release” funktioniert vom Sound noch recht gut. Auch bei “Dumb” treten, abgesehen von meinem trockenen Hals, wenig Probleme auf. Andrew legt sich an seinem Klangtisch hinter mir richtig ins Zeug. Es scheppert ordentlich. So muss es sein! Bei “Assholes” hoere ich nur noch am Anfang das Backingtape, dann ist es verschwunden. Ich hoere nur noch meine Stimme, Paul H. am Keyboard und Frau Mielke an der Gitarre. Hmm, immerhin. Dann begebe ich mich von der Buehne ins Publikum, um wenigstens von dort alles hoeren zu koennen. Ich sehe die erste Reihe vom Publikum und muss mich schnell wieder auf die Buehne begeben.
Der Grund: Dorfteenies und eine einsam tanzende Hausfrau und Mutter. Zum Schluss von “Assholes” spielen und singen wir alle nur noch auf Verdacht. Aber es klappt mit dem Schluss. Toll gemacht, Rocker! Dann kommt unser erster neuer Song des Abends. Charly, unser amerikanischer Zelle-Neuzugang begleitet den Song mit seiner Stimme und betritt nun die Buehne. Er wird von unserem vermummten “ex-Schwein” Marcy begleitet. Alles geht glatt, das Lied kommt an. Beim naechsten Lied gehe ich nun wieder auf die Buehne. Und bei “Nameless Fight” hoere ich mich sogar ueber die Monitore. Auch das Backingtape vernehme ich ueber die Boxen. “Nameless Fight” ist ein tolles Lied! Es macht mir immer wieder Spass zu performen. Mir faellt waehrend meines singens ein, dass ich wegen den Vorbereitungen fuer den Gig meinen Wochenendeinkauf voellig vergessen habe. Tja, dann gibbet es dieses Wochenende wohl nichts weiter zu essen. Vielleicht kann ich mir ja nachher noch heimlich ein Paar von unseren Catering-Stullen fuer zu Hause mitnehmen. Ich muss bei dem Gedanken schmunzeln und denke mir: “Wenn das Publikum wuesste, dass ich gerade an meinen Wochenendeinkauf denke…”. Vor “Destruction”, einem weiteren neuen Song, kommt meine einzige laengere Ansage des Abends. Ich frage, ob das Publikum uns eigentlich gut hoeren kann. “Ja”, bruellt es aus der Mitte des Saales. Dort stehen also die Szene-Leute. Ich will mit dem Programm weiter machen, da schnellt Paul H. von seinem Keyboard zu mir und sagt “Casi nicht vergessen!”. Richtig, beinahe vergessen. Dann entschuldige ich Carsten Klatte, der als unser zweiter Gitarrist ausgefallen ist und verweise sogar noch auf unser Konzert im K 17. Bei “Destruction” versagt kurzzeitig meine Stimme. Ich trinke einen kleinen Schluck von meiner Leitungswasserflasche und alles ist wieder gut. Ich freue mich ueber den Verlauf unseres Gigs.
Am Anfang unseres letzten Songs “Kill”, wo ich die Buehne verlasse und Andrew wieder an seinen Klangtisch gehen muss, geht einiges schief. Das Backingtape laeuft schon, als ich also den Backstage betrete. Andrew erzaehlt mir aufgeregt, dass der Veranstalter Backstage war. “Die drehen uns den Strom ab”, schreit er. Und erzaehlt weiter: “Das Publikum will sein Geld zurueck. Der Veranstalter war da und hat sich beschwert”. “Na toll!”, denke ich. Dann rennt Andrew zu seinem Klangtisch auf der Buehne und spielt noch besser, als wir verabredet hatten. “Ganz grosses Kino” denke ich. Nur das mit dem Veranstalter habe ich nicht so recht verstanden. Nun ist auch “Kill” vorbei und die restliche Band kommt von grossem Applaus begleitet in den Backstage.
Jetzt kann ich Andrew fragen, was er mir da eigentlich erzaehlte. Er wiederholt seine Worte. Nun denke ich, “Scheisse nochmal!”. Mit dieser Information verschafft mir Andrew die Aufregung, die ich in dieser Form nichtmal vor dem Auftritt verspuerte. Charly, der die neusten Infos auch mitbekam, faengt laut an zu lachen. Mir ist garnicht zum lachen. Ich bin verwirrt. Unseren mitgebrachten Aftershow-Prosseco moechte ich jetzt nicht mehr trinken. Dann kommt der Veranstalter. Ich befrage ihn. Er meint mit ruhigen Worten: “Ja, da wollten 6 Besucher ihren Eintritt zurueck, weil sie von dieser Veranstaltung was anderes erwartet haben”. Von Strom abdrehen war wohl nicht die Rede, sagt der Veranstalter. Ich denke mir erleichtert: “Wenn ich von allen Veranstaltungen, die mir nicht gefallen haben, das Geld zurueck bekommen wuerde, waere ich reich”. Somit hatte sich meine Aufregung erledigt. Nothing To Fear wollten nun auf die Buehne, mussten jedoch ihren Auftritt verschieben, da der Veranstalter jene Besucher befriedigen wollte, die wegen der 80′er-Party gekommen waren. Also gab es erstmal die Hits der 80′er. Mir fiel dabei auf, dass die Musik und einige Besucher der Veranstaltung schon recht einzigartig waren. Was fuer ein Trash! Schliesslich konnten Nothing To Fear nach einer verordneten Stunde ihren Auftritt in einer rappelvollen Scheune vollziehen.
Wir hatten jedenfalls unseren Spass. Wenngleich ein gewisser Schatten der Ironie auf diesen Abend lastet. Es kann nur besser werden!
geschrieben und fuer gut befunden am 20.03.2006 vom Raze